Wie heilt Hypnosetherapie?
Sie gilt als eine der ältesten Heilmethoden der Welt. Doch was mit Körper und Geist in Trance genau passiert, finden Forscher erst jetzt heraus
EIN ARTIKEL VON JULIA RUDORF, AKTUALISIERT VOM 11.06.2019
Behandelt Dr. Agnes Kaiser Rekkas ihre Patienten, nimmt sie sie mit auf eine Reise. "Und während Sie jetzt mehr und mehr loslassen, entsteht vor Ihrem inneren Auge Ihr allerschönstes Wohlfühlbild, Ihr Strand am Meer." Mit ruhigen, leicht monotonen Sätzen beschreibt die Psychologin und Hypnotherapeutin, wie es dort ist, wo sich ihr Patient am besten entspannen kann. Meeresrauschen, die warme Sonne, Vogelzwitschern, feiner Sand, salzige Luft. Die Sprache wird zu einem Fluss, der alle Sinne anspricht.
Das eigentliche Ziel der Reise: "Ein Trancezustand, in dem man bereit ist, Potenziale zu erkennen, die im Unterbewussten schlummern", erklärt Kaiser Rekkas, Vizepräsidentin der Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie.
Weit weg vom Dauerstress Mit dem Entspannen und Loslassen haben viele ihrer Patienten Probleme. Etwa die, die wegen eines Reizdarm-Syndroms zu ihr kommen. "Sie leiden unter Bauchschmerzen, Blähungen, oder sind ständig auf der Suche nach der nächsten Toilette – das ist ein andauernder Stress." Hilfe von der Hypnotherapie erhoffen sich auch Menschen, die Ängste vor Prüfungen oder dem Zahnarzt überwinden wollen. Frauen, die Wechseljahresbeschwerden haben, Manager mit ersten Burn-out-Symptomen oder Schmerzpatienten.
Hypnose kann dort wirken, wo Medikamente und andere klassische Behandlungsformen nicht hinkommen. Das habe vor allem damit zu tun, dass der Patient auf positive Art erfahre, wie er an der Lösung des Problems selbst mitwirken könne, sagt Kaiser Rekkas. "Sitzt der Patient gefühlt an einem Sommerabend am Meer, sind das ganz andere Voraussetzungen."
Trance mit Tradition Schon lange ist bekannt, dass Hypnose für medizinische Zwecke genutzt werden kann. Anthropologen gehen davon aus, dass Trancezustände während der gesamten Menschheitsgeschichte zur Heilung eingesetzt wurden. Bei den Sumerern und Ägyptern nutzten sie vor allem Priester. Im antiken Griechenland kannte man den sogenannten Tempelschlaf, eine Art hypnotischer Zustand, in den Patienten versetzt wurden. Bei den Naturvölkern Australiens, Asiens oder Afrikas gibt es ebenfalls eine jahrtausendealte Trancetradition. In der westlichen Kultur und der akademischen Medizin allerdings hatte die Hypnose einen schweren Stand. In den 60er-Jahren verhalf der amerikanische Psychiater Milton H. Erickson einer aufgeklärten Form der Hypnotherapie immerhin zu einem gewissen Durchbruch. In Deutschland wurde sie dennoch erst 2006 vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie als wirksame Methode anerkannt.
Nach wie vor scheint es zwischen Wissenschaft und Hypnose gewisse Berührungsängste zu geben. Schließlich haben Trancezustände immer noch etwas Magisches oder zumindest Irrationales. Außerdem fallen sie in einen äußerst schwierig zu erforschenden Randbereich des Bewusstseins.
Die Kraft der Vorstellung "Es verhält sich leider immer noch so: Auf der einen Seite ist ein riesiger Schatz an Erfahrung aus der angewandten Hypnose, auf der anderen Seite aber noch zu wenig Forschung, die ihre Wirkung auch nachvollziehbar macht", sagt Dr. Barbara Schmidt, Psychologin an der Universität Jena. Um mehr über die Wahrnehmungsveränderungen bei hypnotisierten Menschen zu erfahren, untersuchte sie mit Kollegen, wie sich das menschliche Sehen mit Suggestionen beeinflussen lässt. Die Studienteilnehmer bekamen eine eigentlich einfache Aufgabe gestellt: Sie sollten blaue Quadrate zählen, die vor ihnen auf einem Bildschirm eingeblendet wurden. Ohne Hypnose zählten die Probanden etwa 90 Prozent der Quadrate korrekt. Während der Trance bat Schmidt die Teilnehmer, sich vorzustellen, sie hätten ein Holzbrett vor den Augen. Die Folge: Im Schnitt konnten sie etwa 20 Prozent weniger Quadrate korrekt zählen. Die Teilnehmer, die sich vor dem Test als besonders gut hypnotisierbar erwiesen hatten, erkannten nur noch die Hälfte. Die nur vorgestellte Sichtbehinderung hatte ihre Wahrnehmung tatsächlich stark beeinträchtigt.
Während der Tests zeichneten die Wissenschaftler die Hirnströme der Probanden auf. "Im EEG konnte man klar sehen, dass der visuelle Reiz ganz normal ankam", berichtet Schmidt. Was sich jedoch geändert hatte, war, wie das Gehirn mit dieser Information weiter verfuhr.
Wahrnehmung vs. Imagination "Wir gehen davon aus, dass durch die Trance der Kommunikationsprozess im Gehirn verändert wird", so die Psychologin. Offenbar nehmen Menschen unter Hypnose die Wirklichkeit anders wahr und lassen sie auch anders an sich heran. Ähnliches konnten die Jenaer Forscher bei Untersuchungen zum Schmerzempfinden feststellen. Dabei wurde Studienteilnehmern in Trance eingeredet, ihre Hand stecke in einem Handschuh voll kühlem Gel. Wurden den Probanden dann elektrische Reize zugefügt, nahmen sie diese zwar deutlich wahr. Doch sie fanden sie kaum schmerzhaft. Bei vollem Bewusstsein hatten sie die gleichen Reize noch als höchst unangenehm eingestuft. Die Ergebnisse decken sich mit früheren Befunden, wonach sich unter Hypnose offenbar bestimmte Prozesse voneinander entkoppeln. Der Teil des Gehirns, der normalerweise unsere Handlungen bewertet, kontrolliert und steuert, wird in Trance gewissermaßen übergangen.
Die Vorstellung, dass Trance unsere Kontrollmechanismen teilweise umgeht, würde auch erklären, warum sich Menschen unter Hypnose von tiefsitzenden Überzeugungen verabschieden können – die vielleicht Teil ihres gesundheitlichen Problems sind.
Loslassen und vertrauen
"Wenn jemand seine Situation als auswegslos bewertet und das Gefühl hat, in einer Sackgasse zu stecken, dann kann man dieses negative Bild in Hypnose umgehen und mit der Zeit durch eine positive Suggestion ersetzen", erklärt Kaiser Rekkas. Reizdarm-Patienten zum Beispiel könnten sich ausmalen, negative Erinnerungen, Angst und Schamgefühl erst in Händen zu halten – und sie dann in Hypnose wie selbstverständlich loszulassen.
Doch wie eindeutig sind die Grenzen zwischen Kommunikation mit dem Unbewussten und Suggestion oder gar Manipulation? Tatsächlich haben viele Menschen Sorge, sich in Hypnose auszuliefern oder fremdbestimmt zu handeln.
Der Weg zur Selbstheilung Die Beziehung zwischen Patient und Hypnotherapeut basiert deshalb auch auf großem Vertrauen, wie Psychologin Schmidt betont. Das sei auch ein möglicher Grund, warum nicht jeder Mensch hypnotisierbar ist. Etwa zehn Prozent könne man nicht in Trance versetzen. Zehn bis 20 Prozent dagegen sind sehr leicht zu hypnotisieren. "Gegen den eigenen Willen funktioniert das jedoch bei niemandem", so Schmidt.
Moderne Hypnotherapeuten verstehen ihren Ansatz als ressourcen- und lösungsorientiert. Das, was der Patient mitbringt, sind nicht nur Erlebnisse mit der eigenen Krankheit, sondern auch positive Erfahrungen und persönliche Kraftquellen, die helfen können, die Selbstheilung zu mobilisieren.
Agnes Kaiser Rekkas fragt deshalb genau nach, wo und wie ihre Patienten im Alltag einen Zustand von Entspannung erleben. Meistens sind es Orte in der Natur. Der kleine See im Wald, eine Bank unter einem mächtigen Baum. "Am häufigsten ist aber tatsächlich ein Strand am Meer."
Neulich erzählte ihr jemand, dass er sich am wohlsten fühle, wenn er sich um seine Kaninchen kümmere. Vom Therapeuten ist in solchen Situationen Einfühlungsvermögen gefragt, damit das Hypnotisieren gelingt. "Wenn ich mich nicht so auskenne, dann gehe ich eben nicht so ins Detail", sagt Kaiser Rekkas. Meist genügten wenige gut gewählte Worte für die Hinführung an den persönlichen Wohlfühlort.
Die eigene Fantatsie trainieren Am Ende ist aber auch der Patient gefragt – und seine Fantasie. Zum Beispiel muss er das Abrufen mancher Bilder oder Lösungsvorstellungen richtiggehend trainieren, um sie irgendwann auch im Alltag anwenden zu können. Wer eine rein passive Therapie erwarte, könnte enttäuscht werden. "Hypnose ist keine Zauberpille", betont Hypnotherapeutin Kaiser Rekkas. Den Weg zum inneren Strand am Meer muss sich jeder selbst erarbeiten.
Heilen mit Hypnose: Was Sie wissen sollten
Medizinische Hypnose gilt als wirksam zur Behandlung verschiedener Beschwerden. Diese reichen von psychosomatischen Problemen über chronische Schmerzen, Magen-Darm-Erkrankungen wie Reizdarm bis hin zu Hautleiden wie Neurodermitis und Atemwegserkrankungen. Bei Operationen kann die Hypnose Schmerzen lindern, ersetzt aber in der Regel keine Betäubung.
Eine Hypnotherapiesitzung gliedert sich in mehrere Phasen. Nach einem Vorgespräch, in dem es um Ziele und Erwartungen geht, folgt die Einführung in den Trancezustand, auch Induktion genannt. Gegen Ende der Sitzung wird der Patient aus der Trance zurückgeführt. Danach findet ein Nachgespräch statt. Mitunter leitet der Therapeut den Patienten zum Üben der Selbsthypnose an.
Hypnotherapeuten müssen eine entsprechende Ausbildung durchlaufen haben. Qualifizierte und seriöse Therapeuten sind auf den Internetseiten der Milton H. Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose (www.meg-hypnose.de) oder der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie (www.dgh-hypnose.de) gelistet.
Kassenleistung ist eine hypnotherapeutische Behandlung nur in Ausnahmefällen. Informieren Sie sich deshalb am besten vorher bei Ihrer Krankenkasse und dem Therapeuten Ihrer Wahl, welche Kosten auf Sie zukommen können.
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